Montag, 15. Januar 2018

Ein etwas makaberer Neujahrestag

Am ersten Tag des neuen Jahres hieß es schon wieder Koffer packen und Prag Lebewohl zu sagen, was wir gar nicht so ungern taten: all die Menschen sich selbst zu überlassen, hatte definitiv seinen Reiz, wir hatten erst einmal genug gesehen. Da wir uns nun schon so weit ins tschechische Land hineingewagt hatten, wollten wir es gleich noch ein wenig gründlicher erkunden und entschieden uns für einen Kurzbesuch im 70km entfernten östlich gelegenen Kutna Hora (zu deutsch Kuttenberg). Der Name wird den meisten vermutlich nichts sagen, aber vielleicht hat der ein oder andere schon von der sogenannten Knochenkirche gehört. Wir kennen diese Sehenswürdigkeit dank der Abenteuer-Doku Reihe „The long way round“ von Ewan McGregor und seinem besten Freund Charley Boorman, in der sie auf ihren Motorrädern von London nach New York fahren und dabei eben auch die Knochenkirche in Kutna Hora mit einem kurzen Abstecher beehren.

Bevor ich über unsere Eindrücke berichte, hier ein ganz kurzer geschichtlicher Abriß und wie es zu dieser schaurigen Sehenswürdigkeit kam. Man sieht es Kutna Hora heute nun wirklich nicht mehr an, aber gegen Ende des 13. Jahrhunderts war es dabei, Prag seine Position als wichtigste und größte Stadt den Rang abzulaufen. Durch den Silberbergbau erlangte die Stadt recht schnell an Wohlstand und Einfluß und die Prägung des berühmten Prager Groschen begünstigt den Aufstieg der Stadt. Die Menge des geförderten Silbers war so hoch, daß man nicht nur ganz Böhmen mit Groschen versorgen konnte, sondern auch Polen und weite Teile des deutschen Reiches.

Wo viel Wohlstand herrscht, kommt es leider auch immer zu Kriegen und so wurden im Zuge der Hussitenkriege in den 1420er Jahren unzählige Bewohner Kutna Horas ermordert und auf dem Friedhof in Sedletz (Stadtteil Sedlec) begraben. Dort lagen bereits viele hunderttausend Pestopfer und die Mönche bekamen ein Platzproblem; mehrmals mußten sie Platz für neue Gräber schaffen und gruben alte Knochen aus. Diese wurden dann in sogenannte Beinhäuser (Ossarium) verräumt und dort aufgestapelt. Im 14. Jahrhundert entstand die heutige Kirche und auch sie mußte gleich als Knochenlager herhalten. Auf dem Friedhof der Stadt herrschte auch aus anderem Grund reger Andrang. Schuld daran trug Abt Jindrich, der im Jahr 1278 „heilige“ Erde vom angeblichen Kreuzigungsort Jesu aus Jerusalem mit nach Hause brachte und sie auf dem Friedhof verstreute, was einen regelrechten Bestattungsboom und Tourismus auslöste, da unzählige Gläubige aus der Region und von weit her in Kutna Hora in heiliger Erde bestattet werden wollten.

Aber wie kam es nun von meterhoch gestapelten Knochenbergen in den Gewölben der Kirche zu den heute bekannten „Kunstwerken“? 1866 erwarb des Fürstengeschlecht Schwarzenberg das Anwesen und fand riesige Pyramiden aus Menschenknochen vor. Und wie man das eben so beim Neuerwerb einer Immobilie tut, beauftragte die Familie einen Innenarchitekten mit dem Herrichten des Interieurs. Was der Holzschnitzer Frantiéek Rint auch tat, allerdings arbeitete er nicht mit seinem vertrauten Rohstoff Holz sondern mit den gelagerten Knochen. Man geht davon aus, daß die Knochen und Gebeine von ca. 40.000 Menschen in dem Gewölbekeller liegen. Für das gesamte Inventar benötigte Rint die Knochen von ca. 10.000 Menschen um z.B. Kronleuchter, Decken- und Wandschmuck, Girlanden oder das Familienwappen der Schwarzenbergs aus Knochen erstehen zu lassen. Angeblich sind im Kronleuchter (dem Herzstück des bizarren Ensembles) alle Arten von menschlichen Knochen verarbeitet.

Nun kann man von der ganzen location halten was man mag und auch die in den ausgelegten Infoblättern beschriebene Intention, man wolle auf die Vergänglichkeit des menschlichen Seins hinweisen hat sich mir beim Anblick nicht recht erschließen wollen. In uns hat es ein bedrückendes, beklemmtes Gefühl erzeugt weil man unweigerlich an all das Leid der Menschen denken muß, welches sich hier in Kriegen und Krankheiten zugetragen hat. Verstärkt wird dieses Gefühl durch separat ausgestellte Schädel, die eindeutige Hieb- Stich- oder Schlagverletzungen aufweisen und somit ganz eindeutig Opfer körperlicher Gewalt geworden sind. Wie man grinsend vor solch einer Ansammlung menschlicher, teils grausamer Schicksale für ein Foto posieren kann, bleibt uns ein Rätsel. 

Ebenso der ganze Totenkopf Merchandise Wahnsinn, der ganz sicher seine Anhänger in der Gothik Szene gefunden hat. Wems gefällt…. man kann die niemandem ins Gewissen reden und wahrscheinlich schon gar nicht den Tschechen selbst, die in einer Region sinkender wirtschaftlicher Bedeutsamkeit versuchen, vom Touristenboom zu profitieren und ein paar Kronen zusätzlich zu verdienen. Die Marktwirtschaft ist ganz sicher in Kutna Hora angekommen aber ob der Ort seine frühere Bedeutung zurückerlangen wird, ist mehr als fraglich. Zumindest steigen wohl die Besucherzahlen jährlich an, was diversen Erwähnungen in Hollywood Filmen zu verdanken ist.

Bei all der Faszination und gleichzeitigem Unverständnis bleibt die Frage des Warum bestehen: Wie kommt man dazu, menschliche Gebeine als Dekostücke zu betrachten und diese zu Alltagsgegenständen umzugestalten? Wo bleibt der Respekt vor den Toten?
















Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen