
Am ersten Tag des
neuen Jahres hieß es schon wieder Koffer packen und Prag Lebewohl zu
sagen, was wir gar nicht so ungern taten: all die Menschen sich
selbst zu überlassen, hatte definitiv seinen Reiz, wir hatten erst
einmal genug gesehen. Da wir uns nun schon so weit ins tschechische
Land hineingewagt hatten, wollten wir es gleich noch ein wenig
gründlicher erkunden und entschieden uns für einen Kurzbesuch im
70km entfernten östlich gelegenen Kutna Hora (zu deutsch
Kuttenberg). Der Name wird den meisten vermutlich nichts sagen, aber
vielleicht hat der ein oder andere schon von der sogenannten
Knochenkirche gehört. Wir kennen diese Sehenswürdigkeit dank der
Abenteuer-Doku Reihe „The long way round“ von Ewan McGregor und
seinem besten Freund Charley Boorman, in der sie auf ihren
Motorrädern von London nach New York fahren und dabei eben auch die
Knochenkirche in Kutna Hora mit einem kurzen Abstecher beehren.

Bevor ich über
unsere Eindrücke berichte, hier ein ganz kurzer geschichtlicher
Abriß und wie es zu dieser schaurigen Sehenswürdigkeit kam. Man
sieht es Kutna Hora heute nun wirklich nicht mehr an, aber gegen Ende
des 13. Jahrhunderts war es dabei, Prag seine Position als wichtigste
und größte Stadt den Rang abzulaufen. Durch den Silberbergbau
erlangte die Stadt recht schnell an Wohlstand und Einfluß und die
Prägung des berühmten Prager Groschen begünstigt den Aufstieg der
Stadt. Die Menge des geförderten Silbers war so hoch, daß man nicht
nur ganz Böhmen mit Groschen versorgen konnte, sondern auch Polen
und weite Teile des deutschen Reiches.

Wo viel Wohlstand
herrscht, kommt es leider auch immer zu Kriegen und so wurden im Zuge
der Hussitenkriege in den 1420er Jahren unzählige Bewohner Kutna
Horas ermordert und auf dem Friedhof in Sedletz (Stadtteil Sedlec)
begraben. Dort lagen bereits viele hunderttausend Pestopfer und die
Mönche bekamen ein Platzproblem; mehrmals mußten sie Platz für
neue Gräber schaffen und gruben alte Knochen aus. Diese wurden dann
in sogenannte Beinhäuser (Ossarium) verräumt und dort aufgestapelt.
Im 14. Jahrhundert entstand die heutige Kirche und auch sie mußte
gleich als Knochenlager herhalten. Auf dem Friedhof der Stadt
herrschte auch aus anderem Grund reger Andrang. Schuld daran trug Abt
Jindrich, der im Jahr 1278 „heilige“ Erde vom angeblichen
Kreuzigungsort Jesu aus Jerusalem mit nach Hause brachte und sie auf
dem Friedhof verstreute, was einen regelrechten Bestattungsboom und
Tourismus auslöste, da unzählige Gläubige aus der Region und von
weit her in Kutna Hora in heiliger Erde bestattet werden wollten.

Aber wie kam es nun
von meterhoch gestapelten Knochenbergen in den Gewölben der Kirche
zu den heute bekannten „Kunstwerken“? 1866 erwarb des
Fürstengeschlecht Schwarzenberg das Anwesen und fand riesige
Pyramiden aus Menschenknochen vor. Und wie man das eben so beim
Neuerwerb einer Immobilie tut, beauftragte die Familie einen
Innenarchitekten mit dem Herrichten des Interieurs. Was der
Holzschnitzer Frantiéek Rint auch tat, allerdings arbeitete er nicht
mit seinem vertrauten Rohstoff Holz sondern mit den gelagerten
Knochen. Man geht davon aus, daß die Knochen und Gebeine von ca.
40.000 Menschen in dem Gewölbekeller liegen. Für das gesamte
Inventar benötigte Rint die Knochen von ca. 10.000 Menschen um z.B.
Kronleuchter, Decken- und Wandschmuck, Girlanden oder das
Familienwappen der Schwarzenbergs aus Knochen erstehen zu lassen.
Angeblich sind im Kronleuchter (dem Herzstück des bizarren
Ensembles) alle Arten von menschlichen Knochen verarbeitet.


Nun kann man von der
ganzen location halten was man mag und auch die in den ausgelegten
Infoblättern beschriebene Intention, man wolle auf die
Vergänglichkeit des menschlichen Seins hinweisen hat sich mir beim
Anblick nicht recht erschließen wollen. In uns hat es ein
bedrückendes, beklemmtes Gefühl erzeugt weil man unweigerlich an
all das Leid der Menschen denken muß, welches sich hier in Kriegen
und Krankheiten zugetragen hat. Verstärkt wird dieses Gefühl durch
separat ausgestellte Schädel, die eindeutige Hieb- Stich- oder
Schlagverletzungen aufweisen und somit ganz eindeutig Opfer
körperlicher Gewalt geworden sind. Wie man grinsend vor solch einer
Ansammlung menschlicher, teils grausamer Schicksale für ein Foto
posieren kann, bleibt uns ein Rätsel.
Ebenso der ganze Totenkopf
Merchandise Wahnsinn, der ganz sicher seine Anhänger in der Gothik
Szene gefunden hat. Wems gefällt…. man kann die niemandem ins
Gewissen reden und wahrscheinlich schon gar nicht den Tschechen
selbst, die in einer Region sinkender wirtschaftlicher Bedeutsamkeit
versuchen, vom Touristenboom zu profitieren und ein paar Kronen
zusätzlich zu verdienen. Die Marktwirtschaft ist ganz sicher in
Kutna Hora angekommen aber ob der Ort seine frühere Bedeutung
zurückerlangen wird, ist mehr als fraglich. Zumindest steigen wohl
die Besucherzahlen jährlich an, was diversen Erwähnungen in
Hollywood Filmen zu verdanken ist.
Bei all der
Faszination und gleichzeitigem Unverständnis bleibt die Frage des
Warum bestehen: Wie kommt man dazu, menschliche Gebeine als
Dekostücke zu betrachten und diese zu Alltagsgegenständen
umzugestalten? Wo bleibt der Respekt vor den Toten?
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